Raw Denim: Die authentische Jeans, die auch noch ökologischer ist (2024)

Raw Denim: Die authentische Jeans, die auch noch ökologischer ist (1)

Raw denim

Sonja Siegenthaler Mode

Der Jeans-Trend spiegelt den Wunsch nach verlässlichen Werten und Beständigkeit, auch in der Mode.

Damals, Anfang der nuller Jahre, war er die Antithese zu all den Modeströmungen, die nicht ausgefallener hätten sein können: dieser Typ Mann mittleren Alters, mit vollem Bart oder buschigem Schnäuzer, in Trucker-Jacke, Karohemd und derben Lederstiefeln. Sein liebstes Stück aber war die dunkelblaue Raw-Denim-Jeans, über deren Stoffbeschaffenheit er mit Anhängern der Heritage-Fashion-Bewegung fachsimpeln konnte wie andere über Spitzenweingüter. Er wollte als Individualist gelten in seiner steifen Jeans, die mit der Zeit eine ganz eigene Patina bekommt, ganz anders als die vorgewaschenen Hosen.

Während sich der robuste Baumwollstoff in den letzten Jahren nur noch unter den letzten Enthusiasten des Ewigguten und den besonders Jeansverrückten ungebrochener Bewunderung erfreute, findet er sich ausgerechnet jetzt, in Zeiten der Klimabewegung, in der Mode wieder.

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Eine Leinwand des Lebens

Auffallend sei, dass die Kundschaft, die nach dieser Jeans fragt, bedeutend jünger und weiblicher geworden sei, meint Markus Cadruvi, Gründer und Inhaber des Zürcher Bekleidungsladens Deecee Style. Grund dafür sei der Gedanke der Nachhaltigkeit: Der ursprünglichste aller Jeansstoffe ist auf mehreren Ebenen unbehandelt, wird weder gewaschen noch gebleicht noch gelasert, ist widerstandsfähig und damit umweltfreundlicher als andere Baumwollgewebe.

Seit anderthalb Jahrhunderten steht er für Qualität, Individualität und Nachhaltigkeit – Werte, auf welche die Gegner der Massenproduktion schon immer gerne gesetzt haben. Nebst der klassischen Raw-Denim-Jeans von Marken wie Levi’s, Lee oder A.P.C. finden sich auch in den Frühjahrskollektionen von Modelabels wie Max Mara, Saint Laurent oder Bottega Veneta klassisch-zeitlose Jeansstücke, die für mehr als nur eine Saison bestimmt sind. Sie rücken den rauen und brettartigen Stoff mit seiner dunklen, vorerst gleichmässigen Indigofarbe in den Mittelpunkt.

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Seine Charakteristik verändert sich mit der Zeit, was den Reiz ausmacht: Durch die Körperwärme und den natürlichen Abrieb beim Tragen werden die Falten in den Kniekehlen und im Schritt heller, Abnutzungen an den Säumen werden sichtbar, der Stoff dehnt sich aus und wird weicher. Nach rund sechs Monaten ist jedes Stück zu einer individuellen Leinwand des Trägers geworden, die sich von anderen unterscheidet.

Doch nur wer den Raw-Denim-Stoff in seinem ursprünglichen Zustand belässt, bestimmt, wie er altert: Da die Baumwolle das letzte Mal mit Wasser in Berührung kam, als das Garn gefärbt wurde, läuft sie Gefahr, beim Waschen um bis zu zehn Prozent einzugehen und ihre intensive Farbe und das sich bildende «Fading» zu verlieren.

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Muss man sie nun waschen oder nicht?

So kommt man kaum um die Diskussion des Waschens herum: «Muss man nicht», proklamierte Chip Bergh, Chef der Firma Levi’s, vor einigen Jahren an einer Konferenz zum Thema Nachhaltigkeit und Mode. «Ich weiss, es klingt total eklig», räumte er ein, dennoch leide er an keiner Hautkrankheit, obwohl seine Jeans bisher noch keine Waschmaschine von innen gesehen habe.

Andere vertreten die Meinung, dass Schmutz und Bakterien dazu führen können, dass der Stoff im Alter schneller reisst und so die Lebensdauer verkürzt wird – ihre Empfehlung: das Kleidungsstück alle sechs bis zwölf Monate waschen. Dazwischen immer schön an der frischen Luft auslüften. Wie bei allen Ideologien gilt auch hier: Einen Konsens gibt es nicht, jeder muss seinen eigenen Weg finden, wie die Jeans gepflegt werden soll.

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Die Ur-Jeans war schon aus Raw Denim gefertigt

Eine Hose für Individualisten war die Raw-Denim-Jeans nicht immer: Anfangs waren es Farmer, Cowboys und Goldgräber, die sie getragen haben – die klassische Jeans war indigoblau, hatte fünf Taschen und war mit Nieten verstärkt. Erst mit dem Aufkommen der Filmindustrie verlor sie ihren Ruf als Arbeiterkluft und wurde stattdessen zum modischen Statement der coolen Antihelden: John Fords Western «Stagecoach» von 1939 machte John Wayne zum Filmstar und die von ihm getragene Levi’s 501 zum Standard-Look der Hollywood-Cowboys.

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Die jüngere Generation übernahm später den Rebellen-Look von Marlon Brando und James Dean, mit dem sie sich von ihren konservativen Eltern abheben konnte. Ende der siebziger Jahre explodierte dann die Nachfrage nach der Jeans, die bis dahin grösstenteils aus Raw Denim hergestellt worden war. Neue und effizientere Technologien ermöglichten die Massenproduktion, Stretch-Denim machte die Jeans bequemer. Damit sanken die Kosten, aber auch die Qualität.

In den nuller Jahren kam die Raw-Denim-Jeans zurück. Dafür sorgten auch japanische Marken wie Evisu, die sich auf den Stoff spezialisierten. Aufwind erhielt die Szene auch durch das Aufkommen des Internets: Auf Blogs teilten Denim-Liebhaber Fotos sehr teurer, aus Japan oder Amerika importierter Jeans, in Internet-Foren wurde darüber diskutiert, wie sich die schönsten Fadings bilden.

Dass die alte, authentische Jeans nach modischen Verwirrungen wie den Jeggings, der Jogg-Jeans – oder wie all die schnell entflammbaren Synthetik-Greuel hiessen – nun wieder begehrt ist, wundert jedenfalls nicht. Und wenn man damit ein wenig gutes Umweltgewissen mitkauft – umso besser.

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